Freitag, 1. Juli 2022, Dorfener Anzeiger / Lokalteil
„Energiesparen ist jetzt Bürgerpflicht“
Gaskrise: Stadtwerke-Chefs im Landkreis geben Ausblick, was die Bürger erwartet
VON ALEXANDRA ANDERKA
Erding – Die Gaskrise verschärft sich wegen verknappter Lieferungen aus Russland. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat die zweite Alarmstufe des Notfallplans ausgerufen. Was das für die Landkreis-Bürger bedeutet, mit welchen Folgen sie rechnen müssen, in welchem Maße und wann die Preise für Energie steigen könnten, erklären die beiden Geschäftsführer der Stadtwerke Erding und Dorfen, Christian Ruthner und Klaus Steiner, sowie Julia Leopold von der Unternehmenskommunikation Energie Südbayern GmbH (ESB) im Gespräch mit unserer Zeitung.
Oberstes Gebot lautet unisono: Energie sparen. Als eine „Bürgerpflicht“ bezeichnet das Christopher Ruthner, Geschäftsführer der Stadtwerke Erding GmbH, „um unsere Erpressbarkeit zu reduzieren und dem Klimawandel entgegenzusteuern“. Vorerst werde die zweite Alarmstufe des Notfallplans noch keine direkten Auswirkungen auf die Bürger des Landkreises haben, beruhigte er. Die Alarmstufe bedeute, dass Vorbereitungen intensiviert werden. Der Beschaffungspreis wurde über mehrere Jahre gestreckt, deshalb sei aktuell nicht mit signifikanten Preiserhöhungen zu rechnen.
Das bestätigte Klaus Steiner, Geschäftsführer der Stadtwerke Dorfen GmbH und Verbandsvorsitzender der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft e.V.. Wie auch Ruthner weist Kollege Steiner jedoch darauf hin, dass „bereits der Nachkauf von geringsten Mengen Gas bei der momentanen Marktsituation unsere Kalkulation gehörig durcheinander bringen kann.“ Dann könnte auch Paragraf 24 des Energiesicherungsgesetzes zur Wirkung kommen und die Bundesnetzagentur ein sofortiges Durchreichen von sprunghaft ansteigenden Gaspreisen an die Endkunden freigeben. Deshalb rät Ruthner seinen Kunden: „Rücklagen bilden, nicht nur wegen der steigenden Energiepreise, auch wegen der Inflation.“
Sollten Kunden nicht bezahlen können, werde man sich um Lösungen bemühen, da sind sich die beiden Stadtwerke-Chefs einig. „Wir haben ein hohes Interesse daran, dass niemand durch die unverschuldete Situation in Not gerät. Wo immer es geht, werden wir Ratenzahlungen vereinbaren“, so Steiner. Ruthner ergänzt: „Wir stehen vor sozialpolitischen Herausforderungen, die sozialpolitisch gelöst werden müssen.“
Bezüglich Versorgungssicherheit gibt Julia Leopold von der Energie Südbayern GmbH Entwarnung: „Die Versorgung ist aktuell gewährleistet. Das oberste Ziel ist, mit ausreichend gefüllten Gasspeichern in den Winter zu gehen.“ Zudem gebe es in Europa Sicherheitsmechanismen, die in einer Engpasssituation greifen. „Haushaltskunden und Einrichtungen wie Krankenhäuser sind gesetzlich besonders geschützt und werden weiter beliefert.“ „In Dorfen gehören die allermeisten Kunden zur Gruppe, die von einer Abschaltung zuletzt betroffen wäre“, beruhigte Steiner, gab jedoch zu bedenken: „Wir befinden uns in einem Wirtschaftskrieg und Gas wird von Putin als Waffe eingesetzt. Es ist sehr gut vorstellbar, dass Russland eine Situation provoziert, in der die Gasversorger nicht mehr alle ihre Kunden versorgen können. Das könnte dadurch geschehen, dass die Pipeline Nord Stream I nach planmäßig angekündigter Wartung nicht mehr entsprechend hochgefahren wird.“
Trotz aller Hiobsbotschaften rät Julia Leopold von der ESB: „Ruhe bewahren, denn aktuell besteht kein Gasmangel und die Füllstände der Gasspeicher steigen nach wie vor. Dennoch zählt jede Kilowattstunde Gas, die wir im Sommer einsparen können.“ Steiner versichert, dass die Stadtwerke Dorfen „eine ganze Menge unternehmen, um mittelfristig eine Verbesserung der Situation zu erreichen.“ So werde geprüft, ob und welche Teile des Dorfener Gasnetzes mit klimaneutralem Wasserstoff betrieben werden können. Und: „Wir arbeiten mit Hochdruck am Ausbau des erdgasunabhängigen Wärmenetzes.“
Aktuell lägen den Stadtwerken mehr als 150 Kundenanfragen zum Anschluss an das Wärmenetz vor. „Etwa 50 Anschlüsse werden wir noch in diesem Jahr herstellen können.“ Für Juli 2022 planen die Stadtwerke Dorfen, der Öffentlichkeit einen Masterplan für den Ausbau des gasunabhängigen Wärmenetzes vorzustellen. Doch Steiner schränkt ein: „Wir kämpfen mit Fachkräftemangel, Lieferengpässen bei Material und massiven Kostensteigerungen.“ Bis zur kompletten Umsetzung dauere es noch einige Jahre. „In dieser Zeit sind wir auf Gas als Brückentechnologie angewiesen. Mit der Diversifizierung der Lieferketten, dem Einsatz von Flüssiggas aus den USA und weiteren Ländern versuchen die Energiewirtschaft und die Bundesregierung, der Abhängigkeit von Russland zu entkommen.
Mit all diesen Maßnahmen werde bewusst ein höherer CO2-Ausstoß in Kauf genommen, deshalb vertritt Steiner die Meinung: „Kein Weg führt an einem schnellen und umfassenden Ausbau der regenerativen Energieerzeugung vorbei.“